Eine Stadt im Ausnahmezustand: Wegen einer Demonstration von 152 Neonazis war Göppingen am Samstag großräumig abgesperrt, Polizisten und Gegendemonstranten prägten das Stadtbild. Die Rechtsextremisten liefen auf einer abgesperrten Route zumeist außer Sichtweite der Bevölkerung. Foto: Dirk Hülser
Eine Stadt im Ausnahmezustand: Wegen einer Demonstration von 152 Neonazis war Göppingen am Samstag großräumig abgesperrt, Polizisten und Gegendemonstranten prägten das Stadtbild. Die Rechtsextremisten liefen auf einer abgesperrten Route zumeist außer Sichtweite der Bevölkerung. Foto: Dirk Hülser

Eine Stadt im Ausnahmezustand: Auch am Tag nach der Neonazi-Demonstration und den meist friedlichen, teils gewalttätigen Protesten ist in Göppingen für reichlich Gesprächsstoff gesorgt.

Sie sind durch menschenleere Straßen marschiert, flankiert von Hundertschaften der Polizei. 152 Neonazis aus ganz Deutschland haben am Samstag in Göppingen demonstriert, nachdem der Verwaltungsgerichtshof den Aufmarsch am Freitag erlaubt hatte. Die Bilanz aus Sicht der Polizei: 400 Vermummte hatten sich unter die zumeist friedlichen 2000 Gegendemonstranten gemischt. Laut einem Polizeisprecher wurden drei Beamte durch Steinwürfe verletzt, zwei erlitten ein Knalltrauma und einer wurde durch Pfefferspray verletzt. 22 Beamte erlitten Augenreizungen durch Tränengas, auch wurden drei Polizeipferde leicht verletzt. Immer wieder kam es zu kleineren und größeren Scharmützeln zwischen Beamten und Randalierern, die versuchten, die Absperrungen zu durchbrechen. Acht Personen wurden festgenommen, 100 nahm die Polizei in Gewahrsam.

Vorangegangen war eine von 1000 Menschen besuchte zentrale Kundgebung. Zufrieden zeigte sich der Sprecher des Bündnisses „Kreis Göppingen nazifrei“, Alex Maier. „Wir haben gezeigt, dass es auch friedlich geht.“ Ihn ärgert nun, dass es die Randalierer zwar geschafft hätten, dass Göppingen bundesweit in die Schlagzeilen gekommen ist – „aber die Kundgebung geht dabei völlig unter“. Kritisch sieht Maier die Begleitumstände: „Es wurden Fehler gemacht auf allen Seiten“, sagt er. „Schade, dass es so lief, nachdem es gut angefangen hatte.“

Scharfe Kritik an der Einsatztaktik der Polizei kommt von Landtagsvizepräsidentin Brigitte Lösch (Grüne). „Da werden wir Aufklärung verlangen“, kündigt sie an. Eine etwa 20-köpfige Abordnung der Grünen Jugend sei ohne Vorwarnung von der Polizei eingekesselt worden. „Das hat mich schockiert.“ Die Jugendlichen seien friedlich an einem Park vorbeigelaufen. „Es gab keine Aufforderung von der Polizei, sie wurden einfach abgedrängt. Weder sehen die aus wie ein schwarzer Block, noch hatten die irgendetwas dabei“, betont Lösch. Mindestens anderthalb Stunden seien die Grünen eingekesselt gewesen, darunter auch zwei Mitarbeiter der Landtagsfraktion – „dann haben sie von der Stadt Göppingen einen Platzverweis bekommen“. Lösch wundert auch, dass die Stadt eine eigene Gegenveranstaltung organisiert und sich nicht an der zentralen Kundgebung beteiligt hat: „Das habe ich in meinem Leben noch nicht erlebt, dass eine Stadt da nochmal eine eigene Veranstaltung macht.“

Ähnlich verwundert zeigt sich Verdi-Landesvorsitzende Leni Breymaier aus Eislingen (Kreis Göppingen): „So wie in anderen Städten auch, ist im Grunde genommen das Stadtoberhaupt mit den Bürgervertretern die Spitze der Gegenbewegung.“ Sie kritisiert auch, dass die vorherigen fünf kleineren Neonazi-Kundgebungen in diesem Jahr von der Stadt nicht verboten wurden. „Es wäre richtig gewesen, von Anfang an zu sagen: Ihr seid hier unerwünscht. Die richten sich hier häuslich ein.“

Der für seine deutliche Wortwahl bekannte Linke-Stadtrat Christian Stähle kritisierte gestern ebenfalls die Polizeikessel und das Vorgehen einiger Beamter. „Es ist nicht hinnehmbar, dass junge Menschen, die am Bahnhof friedlich ohne jeden Grund – und ich spreche hier von über 70 Menschen – einfach kollektiv verhaftet wurden.“ Stähle lobt im Großen und Ganzen die Arbeit der Beamten, spricht aber auch von „Einzelgladiatoren“, die die Stadt mit einer „Schlagstock-Pfefferspray-Arena“ verwechselten.

Polizeisprecher Rudi Bauer verteidigte gestern die Polizeikessel: „Das ist schon seinen ordentlichen Gang gegangen, damit die Gewahrsamnahmen vor dem Verwaltungsgericht standhalten.“ Für die Platzverweise sei in der Tat die Stadt Göppingen zuständig. „Aber das muss man jetzt einfach aufarbeiten. Das Ganze wird sich hinziehen.“

Quelle: Südwest-Presse