Am Tag nach der Neonazi-Demonstration und den meist friedlichen, teils gewalttätigen Protesten ist für reichlich Gesprächsstoff gesorgt.

„Oh weia!“, entfährt es Gisela Flaig, der Vorsitzenden des Marketingvereins „Göppinger City“. „Das war natürlich ein schwieriger Tag, extrem umsatzschädigend für die Innenstadt.“ Was Flaig am meisten ärgert: „Ich kann immer nur den Kopf schütteln, welches Chaos 152 Personen anrichten können.“ Sie hofft nun, dass sich eine solche Demo nicht wiederholt: „Wenn die das wirklich nochmal machen, wäre das eine Katastrophe.“

Zufrieden mit der von rund 1000 Zuhörern besuchten Kundgebung des Bündnisses „Kreis Göppingen nazifrei“ ist dessen Sprecher Alex Maier. „Wir haben gezeigt, dass es auch friedlich geht.“ Ihn ärgert nun, dass es die Randalierer zwar geschafft hätten, dass Göppingen bundesweit in die Schlagzeilen gekommen ist – „aber die Gegenkundgebung geht dabei völlig unter“. Nach Polizeiangaben hatten sich rund 400 Vermummte unter die etwa zumeist friedlichen 2000 Gegendemonstranten gemischt. Demnach wurden drei Beamte durch Steinwürfe verletzt, zwei Polizisten erlitten ein Knalltrauma und einer wurde durch Pfefferspray verletzt. 22 Einsatzkräfte erlitten Augenreizungen durch Tränengas, drei Polizeipferde wurden leicht verletzt. „Es wurden Fehler gemacht auf allen Seiten“, sagt Maier. „Schade, dass es so lief, nachdem es gut angefangen hatte.“ Er meint aber auch: „Wir dürfen jetzt nicht aufhören, sondern müssen überlegen, wie wir nachhaltig gegen die Neo-Faschisten im Kreis ankommen.“

Scharfe Kritik an der Einsatztaktik der Polizei kommt von Landtagsvizepräsidentin Brigitte Lösch (Grüne). „Da werden wir Aufklärung verlangen“, kündigt sie an. Eine etwa 20-köpfige Abordnung der Grünen Jugend sei ohne Vorwarnung von der Polizei eingekesselt worden. „Das hat mich schockiert.“ Die Jugendlichen seien friedlich an der Oberhofenanlage vorbeigelaufen. „Es gab keine Aufforderung von der Polizei, sie wurden einfach abgedrängt. Weder sehen die aus wie ein schwarzer Block, noch hatten die irgendetwas dabei“, betont Lösch, die gemeinsam mit dem SPD-Landtagsabgeordneten Sascha Binder versuchte, die Jugendlichen aus dem Polizeigewahrsam herauszubekommen. Mindestens anderthalb Stunden seien die Grünen eingekesselt gewesen, darunter auch zwei Mitarbeiter der Landtagsfraktion – „dann haben sie von der Stadt Göppingen einen Platzverweis bekommen“. Lösch glaubt, ihre Parteifreunde würden das Vorgehen der Stadt und der Polizei auf jeden Fall noch im Gemeinderat thematisieren. „Das ist eine neue Erfahrung für mich, das kenne ich aus anderen Städten nicht.“ Auch, dass die Stadt eine eigene Gegenveranstaltung organisiert hat und sich nicht an der zentralen Kundgebung beteiligt hat, wundert Lösch: „Das habe ich in meinem Leben noch nicht erlebt, dass eine Stadt da nochmal eine eigene Veranstaltung macht.“

Ähnlich verwundert zeigt sich Verdi-Landesvorsitzende Leni Breymaier aus Eislingen: „So wie in anderen Städten auch, ist im Grunde genommen das Stadtoberhaupt mit den Bürgervertretern die Spitze der Gegenbewegung.“ Sie kritisiert auch, dass die vorherigen fünf kleineren Neonazi-Kundgebungen in diesem Jahr von der Stadt nicht verboten wurden. „Es wäre richtig gewesen, von Anfang an zu sagen: Ihr seid hier unerwünscht. Die richten sich hier häuslich ein.“

Linke-Stadtrat Christian Stähle meldete sich am Sonntag ebenfalls zu Wort. Er kritisiert die Polizeikessel und das Vorgehen der Beamten in scharfer Form. „Es ist nicht hinnehmbar, dass junge Menschen, die am Bahnhof friedlich ohne jeden Grund – und ich spreche hier von über 70 Menschen – einfach kollektiv verhaftet wurden.“ Stähle lobt im Großen und Ganzen die Arbeit der Beamten, spricht aber auch von „Einzelgladiatoren“, die die Stadt mit einer „Schlagstock-Pfefferspray-Arena“ verwechselten. An den Polizeichef gewandt meint der Stadtrat: „Deshalb bedauere ich zutiefst, dass einige Ihrer Mitarbeiter durch Idioten verletzt wurden und ebenso, dass durch unverhältnismäßiges Handeln weniger Polizisten auch Demonstranten verletzt wurden, wie ich sie zusammengeprügelt und blutend vor Schreibwaren Bertz liegen sehen musste.“

Polizei verteidigt Taktik

Polizeisprecher Rudi Bauer verteidigte am Sonntag die Taktik und die Polizeikessel: „Das ist schon seinen ordentlichen Gang gegangen, damit die Gewahrsamnahmen vor dem Verwaltungsgericht standhalten.“ Für die Platzverweise sei in der Tat die Stadt Göppingen zuständig. „Aber das muss man jetzt einfach aufarbeiten. Das Ganze wird sich hinziehen.“ Bauer konnte am Sonntag aber auch Positives vermelden: „In der Nacht war es ruhig.“ Es habe keine Sachbeschädigungen oder andere Straftaten in Zusammenhang mit der Nazi-Demo mehr gegeben. Neues konnte er auch im Fall des Kabelbrandes an der Bahnstrecke bei Süßen vermelden: „Das war auf jeden Fall vorsätzlich.“ Vermutet wird, dass Gegner der Neonazis deren Zug stoppen wollten.

Quelle: Südwest-Presse