Eine Stellungnahme autonomer antifaschistischer Gruppen zu den aktuellen Ereignissen in Göppingen.

Neonazis sind im Kreis Göppingen seit Jahren ein Problem. Seitdem der Trend der „autonomen Nationalisten“ mit seinem offensiven Aktionismus den Kreis erreicht hat, tritt die Problematik allerdings verstärkt ins öffentliche Bewusstsein. Die faschistische Szene verkriecht sich nicht mehr nur in ihren Kneipen oder auf klandestin beworbenen Nazi-Konzerten in der Region, sondern sucht ganz offen eine breitere Aufmerksamkeit. Dabei hat sie sich insbesondere in Göppingen verstärkt auf „Anti-Antifa-Arbeit“ eingeschossen, was Störaktionen linker Parteiveranstaltungen ebenso einschließt wie unverhohlene Mordanschläge.

So wurden dem Stadtrat der Göppinger Linkspartei, Christian Stähle, vor einiger Zeit die Bremsschläuche am Auto gekappt – ein (bisheriger) brutaler Höhepunkt rechter Gewaltbreitschaft im Kreis. Gute Kontakte pflegen die Göppinger Nazis auch in den gesamten Rems-Murr-Kreis, beispielsweise zu den Brandstiftern und verhinderten Mördern von Winterbach.
Dominik Fischer, der sich derzeit in Stuttgart wegen mehrfachem versuchten Mord verantworten muss, war ebenso im Umfeld der „AN Göppingen“ unterwegs.

Das selbstbewusste Auftreten der Nazis in Göppingen ist zweifellos auf den bedauerlichen Mangel an antifaschistischen Strukturen in der Region zurückzuführen, sowie auf die Untätigkeit der Behörden, die sich durchgehend in Verharmlosung und Ignoranz ergehen.
Um diese Zustände anzugehen, hat sich vor kurzem das Bündnis „Kreis Göppingen Nazifrei“ gegründet, welches neben Vertretern von Parteien (bzw. deren Jugendorgansistionen) und Vereinen auch antifaschistische Gruppen und Einzelpersonen umfasst. Der Zusammenhang steckt noch in den Kinderschuhen und hat sich das Ziel gesetzt, dem braunen Treiben der Region mit einem vielfältigen Widerstand aus der Gesellschaft heraus zu begegnen.

Dass dieses Projekt keineswegs nur den Neonazis ein Dorn im Auge ist, beweisen die jüngsten Reaktionen aus dem rechten Spektrum des lokalen Bürgertums ingestalt von CDU und Junger Union. Hier wird deutlich, dass das eigentliche
Problem tiefer liegt und mehr umfasst als die Aktionen einiger dutzend unverhohlener Faschisten, von deren Gewalttaten sich zu distanzieren auch Konservativen nicht schwer fallen dürfte.

Dass diese oberflächlichen Distanzierungen über hohle Phrasen und Lippenbekenntnisse nicht hinausgehen, verwundert wenig in einer Stadt, in der „Junge Union“ und „Junge Nationaldemokraten“ sich gelegentlich ziemlich ähnlich sehen. In ihrer (inzwischen aus taktischen Gründen zurückgezogenen) sog. „Eislinger Erklärung“, die 2010 einen kleinen Skandal auslöste und halbgare Beschwichtigungsversuche der konservativen Mutterpartei zur Folge hatte, ließ die JU die Maske fallen und demonstrierte offen, wessen völkisch-nationalistischen Geistes Kind sie ist.
In ihrem kruden Hetzpamphlet, das der Schärfung eines „konservativen Profils“ dienen sollte, wird u.a. die „Selbstgeißelung des deutschen Volkes“ mit der eigenen Vergangenheit angeprangert und gegen Homosexuelle Stimmung gemacht. Themen, bei denen sich auch die lokalen Neonazis die Hände reiben dürften.

Doch nicht nur hinsichtlich ihrer nationalistischen, revanchistischen und anti-emanzipatorischen Positionierungen sind
Schnittstellen zwischen Konservativen und Faschisten auszumachen. Auch in ihrer Fokussierung auf den gemeinsamen linken Feind nähern sich die rechten Lager an.

Dass CDU und JU bereits vor ihrer Distanzierung vom Bündnis „Kreis Göppingen Nazifrei“ den „autonomen Nationalisten“ in Sachen Anti-Antifa-Arbeit zu Hilfe eilten, wurde u.a. in einer Anfrage der CDU- Abgeordneten Nicole Razavi an das Innenministerium deutlich, in der „linksextreme Tendenzen“ in der Grünen Jugend sowie den Jusos aufgespürt werden sollten.

Vermuteter Hintergrund für die Anfrage war die Beteiligung der Parteijugenden an den antimilitaristischen „Gelöbnix“-Aktionen in Stuttgart im Jahre 2010. Tatsächlich ist auch davon auszugehen, dass es sich hier um eine versuchte Retourkutsche der CDU auf die offene Kritik an der „Eislinger Erklärung“ handelt.

Es wird deutlich, dass der Linksxtremismus-Vorwurf als politischer Kampfbegriff der bürgerlichen Rechten dazu herangezogen wird, linkes und antifaschistisches Engagement zu diffamieren und der staatlichen Repression auszusetzen. Darüber hinaus spielt er für den bürgerlich-kapitalistischen Mainstream nicht zuletzt in Krisenzeiten die entscheidende Rolle, die herrschenden Eigentumsverhältnisse und Verwertungsprozesse gegen jede fundamentale Kritik abzusichern.

Der kapitalistische status quo wird als alternativlos hingestellt und seine radikalen Kritiker als „Extremisten“ denunziert. Zugleich wird eine angeblich unproblematische „demokratische Mitte“ konstruiert, die eine Deutungshoheit über die legitimen Formen politischer Artikulation für sich in Anspruch nimmt.

Der bürgerliche „Kampf gegen (Links-)Extremismus“ ist also kein Kampf gegen menschen- oder freiheitsfeindliche Bestrebungen, sondern fundamentaler Bestandteil bürgerlich-kapitalistischer Herrschaftsideologie. Eine seriöse wissenschaftliche Grundlage besitzt der Begriff des „Linksextremismus“ nicht – er ist vielmehr das Produkt informeller Mitarbeiter des Verfassungschutzes, der sich selbst wiederum jeder effektiven demokratischen Kontrolle
entzieht.
Die ironische Frage, wer eigentlich die Demokratie vor den (vermeintlichen) Demokraten beschützt, ist in diesem Zusammenhang tatsächlich mehr als berechtigt.

Die gleichzeitige Distanzierung der Rechtskonservativen vom „Rechtsextremismus“ ermöglicht es diesen zugleich, als
„demokratische“ Saubermänner dazustehen und ihren vermeintlich legitimen Bezug zu Volk und Nation zu behaupten. Dass insbesondere antifaschistische Gruppen hier zum Feindbild werden, ist leicht nachvollziehbar vor dem Hintergrund, dass es immer wieder diese sind die den häufig nahtlosen Übergang von CDU/CSU und Junger Union hin zum neo-nazistischen, religiös-fundamentalistischen und faschistischen Lager aufdecken (z.B. durch die Scharnierfunktion von Burschenschaften oder neurechten Publikationen).

Es ist in diesem Kontext bedauernswert, dass auch seitens Grüner Jugend und sogar Linkspartei der Versuch einer Handreichung in Richtung CDU und JU unternommen wurde, bis hin zur teilweisen Übernahme der Extremismus-Doktrin.

Der freiwillige Rückzug der Konservativen aus dem Bündnis Kreis Göppingen Nazifrei ist unserer Auffassung nach stattdessen zu begrüßen. Ein antifaschistisches Bündnis, das reaktionären Demagogen und schwarz-braunen Hetzern die Möglichkeit gibt,
ihre weiße Weste zu präsentieren, macht sich von vornherein unglaubwürdig.
Anstatt aufgrund falsch verstandener Diplomatie den Bock zum Gärtner zu machen, sollte sich ein Bündnis dieser Art konkret an den emanzipatorischen Teil der Bevölkerung richten, anstatt sich durch die Einbeziehung eines möglichst breiten Parteienspektrums den trügerischen Anschein hoher gesellschaftlicher Repräsentation zu verleihen.

Denn Antifaschismus heißt nicht, gegen Störungen des miefigen lokalen Burgfriedens durch „Extremisten“ oder „Unruhestifter“ vorzugehen.
Vielmehr muss er sich klar gegen jede Form von Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Autoritarismus, Sozialchauvinismus und sonstiger reaktionärer Positionen stellen – auch wenn diese in vermeintlich „demokratischem“ Gewand daherkommen mögen.
Quelle: Autonome Antifa Schwäbisch Hall